Architekt einer sozialen Moderne

Ausstellung über den Architekten Otto Bartning im Institut Mathildenhöhe

17.11.2017 von

Als Ergebnis von Projektseminaren zum Leben und Werk Otto Bartnings, dessen privater Nachlass im Fachgebiet Geschichte und Theorie der Architektur aufbewahrt wird, konzipierte und realisierte Dr. Sandra Wagner-Conzelmann als Kuratorin gemeinsam mit Studierenden eine Ausstellung, die nach Präsentationen in der Akademie der Künste Berlin und der Städtischen Galerie Karlsruhe bis zum 18. März 2018 im Institut Mathildenhöhe zu sehen ist.

In der Ausstellung wird erstmals das Gesamtwerk des herausragenden Architekten anhand von Plänen, Fotografien, Schriften und Modellen sowie in einer begleitenden Publikation umfassend vorgestellt. In Bartnings bisher nur in Fachkreisen bekanntem Oeuvre von über 250 Bauten spiegeln sich vier Epochen deutscher Geschichte: Vom Kaiserreich durch die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus bis in die junge Bundesrepublik lassen sich seine Bauten, Projekte und Schriften als Ausdruck gesellschaftlich und politisch verantwortlichen Handelns dokumentieren.

Revolution der Künste

1883 in Karlsruhe geboren, studierte Bartning zunächst an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, dann in seiner Heimatstadt Architektur. Im Dezember 1918 gründete er mit Walter Gropius und Bruno Taut den revolutionären „Arbeitsrat für Kunst“ unter der Forderung: „Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden. Die Kunst soll nicht mehr Genuß weniger, sondern Glück und Leben der Masse sein. Zusammenschluß der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst ist das Ziel“.

In der Absicht einer grundlegenden Neuordnung der Lehre an Kunst- und Architekturschulen leitete Bartning den Unterrichtsausschuss im Arbeitsrat, dem auch Walter Gropius angehörte, der hier wesentliche Impulse für das Programm der im April 1919 in Weimar gegründeten Staatlichen Hochschule „Bauhaus“ erhielt; für Oskar Schlemmer war Bartning „der eigentliche Vater des Bauhaus-Gedankens“.

Nach frühen Erfahrungen als Kirchenbaumeister veröffentlichte er 1919 seine weit rezipierte Programmschrift „Vom neuen Kirchbau“, 1922 entwarf er die berühmte expressionistische „Sternkirche“, deren Konzept noch über Jahrzehnte den evangelischen Kirchenbau vielfach beeinflusste. In der Zeit der Neuen Sachlichkeit schloss sich Bartning 1926 mit Kollegen wie Peter Behrens und Walter Gropius zur Berliner Architektenvereinigung der Moderne „Der Ring“ zusammen, projektierte und verwirklichte mit ihm soziale Wohnsiedlungen wie die Siemensstadt in Berlin. Nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau richtete Bartning in den nun freigewordenen Schulräumen in Weimar eine innovative Bauhochschule mit praxisbezogenem Studium im „Aktiven Bauatelier“ ein.

Neben Forschung, Lehre und Baupraxis, deren Spektrum von Klinik- und Kultur- bis zu Wohnbauten reichte, war Bartning weiterhin als Kirchenbaumeister gefragt. 1928 realisierte er die aus vorgefertigten Stahlelementen montierte „Stahlkirche“, die trotz höchst rationeller Konzeption und Produktion durch ihre Eleganz, ihre Proportionen und die leuchtenden Farbklänge der gläsernen Wände einen Sakralraum von ganz eigener atmosphärischer Qualität umhüllte. Es folgten weitere experimentelle Projekte wie die ebenfalls als Stahlskelettbau 1930 konstruierte Rundkirche in Essen.

1930 von der nationalsozialistisch geprägten Landesregierung in Thüringen als Direktor der Weimarer Bauhochschule entlassen, widmete sich Bartning verstärkt dem Kirchenbau im In- und Ausland. In der Zeit des Nationalsozialismus bearbeitete er Projekte u.a. in Barcelona, Beirut, Belgrad, Lissabon und Paris.

Wiederaufbau oder Neubeginn?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beeinflusste Bartning wie kein anderer Architekt in den Jahren der Not die Baukultur der Nachkriegsmoderne. Mit seinem Aufruf zu einem schlichten, bescheidenen Wiederaufbau und einer Wiederbelebung der Städte im Sinne christlicher Solidargemeinschaft wurde der prominente, politisch unbelastete Architekt zur Instanz einer ethisch reflektierten Stadtplanung.

Bis heute einzigartig ist das von Bartning entwickelte Notkirchenprogramm. Es entstanden zwischen 1946 und 1952 in 43 Städten Deutschlands Typenkirchen aus vorfabrizierten Bauelementen aus Holz, die in Eigenleistung der jeweiligen Kirchengemeinden aufgebaut und mit Trümmersteinen ummauert wurden. Diese Kirchenbauten sollten für die durch Krieg, Vertreibung und Armut heimatlos gewordenen Menschen gleich einem „Zelt in der äußeren und inneren Wüste“ Orte der Zuflucht, Integration und des gemeinsamen Neubeginns bieten. Sie werden bis heute von ihren Gemeinden hoch geschätzt.

Seit 1951 bewohnte er auf Einladung der Stadt Darmstadt das Ernst-Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe. Er organisierte und moderierte die Darmstädter Gespräche „Mensch und Raum“ sowie „Mensch und Technik“, war Spiritus rector der „Darmstädter Meisterbauten“, darunter auch die nach seinem Entwurf errichtete Frauenklinik.

Als Berater Berlins war Bartning maßgeblich an der Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung „Interbau 1957“ im Hansaviertel beteiligt, die als Antwort auf den Wiederaufbau im Osten der Stadt galt. Durch die sensationellen Bauten prominenter Architekten wie Alvar Aalto, Le Corbusier und Oscar Niemeyer wurde die Interbau zu einem weltweiten Erfolg, der wesentlich dem weit gespannten Beziehungsgeflecht und dem diplomatischen Geschick Bartnings zu verdanken war. 1959 starb Bartning in Darmstadt. In Berlin wurde die geschwungene Allee durch das Hansaviertel nach ihm benannt, in Darmstadt die Magistrale in Neu-Kranichstein.

Vortragsreihe

Die Ausstellung über Otto Bartning im Institut Mathildenhöhe wird von einer Vortragsreihe zu Aspekten aus Bartnings Leben und Werk begleitet. Wolfgang Pehnt referiert am 13. Dezember 2017 (15:30 Uhr) über „Stillschweigende Freundschaft. Der Protestant Otto Bartning und der Katholik Rudolf Schwarz“. Sandra Wagner-Conzelmann stellt am 10. Januar 2018 Bartnings Wirken als Protagonist der Moderne in der Weimarer Republik vor. Am 26. Januar 2018 (15 Uhr) erläutert Kai Kappel in der Matthäuskirche (Heimstättenweg 75, Darmstadt) am Beispiel dieser Kirche Bartnings Beitrag zum Wiederaufbau nach 1945 und das Notkirchenprogramm. Werner Durth behandelt am 7. Februar 2018 Bartnings vielschichtige Tätigkeitsfelder in seiner Darmstädter Zeit.

Alle Vorträge (außer 26.01.2018) finden im Max-Guther-Hörsaal (Raum 93), Fachbereich Architektur, El-Lissitzky-Straße 1, 64287 Darmstadt, statt.

Rebellion und Reflexion – Baukultur seit 1967

Mit einer großen Vorlesung über „Rebellion und Reflexion. Baukultur 1967ff“ wird sich Professor Werner Durth am 29. November 2017 aus dem Fachbereich Architektur verabschieden, in dem er im Herbst 1967 sein Studium begonnen hatte. Nach dem Diplom 1973 und Professuren in Mainz und Stuttgart vertrat Durth ab 1998 das Fachgebiet Geschichte und Theorie der Architektur.

Im Rückblick auf fünf Jahrzehnte wird’s Durth in seiner finalen Vorlesung die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichem Wandel und Leitbildern in Architektur und Stadtplanung schildern, die im Blick auf aktuelle Entwicklungen neue Orientierungen erfordern.