Verstärkung fürs Gebälk

Piloty-Hörsaal wieder geöffnet

09.07.2024 von

Gute Nachricht für Studierende und Lehrende: Der Hörsaal C 205 im Robert-Piloty-Gebäude ist wieder geöffnet und steht für die Lehre und die Prüfungen des Sommersemesters zur Verfügung. Knapp sieben Monate war der Hörsaal gesperrt.

Tragwerksplaner, Prüfsachverständige, Zimmerer, Metallbauer und Mitarbeiter:innen des Dezernats Baumanagement und Technischer Betrieb der TU Darmstadt arbeiteten hier bis vor kurzem intensiv Hand in Hand, um die Decke über dem Saal zu ertüchtigen. Sägemehlduft und das Lärmen von Bohrmaschinen wiesen den Weg ins Dach des Gebäudes. Von unten, aus den Sitzreihen oder aus der Warte der Lehrenden, sieht man davon nichts. Die Deckenverkleidung blieb unversehrt. Darüber, auf dem weitläufigen Dachboden, hat sich jedoch eine Menge getan.

Das Piloty-Gebäude zählt zu den älteren Bauten der TU und stammt aus dem Jahr 1937. Einer der wenigen Orte, wo dies sichtbar wird, ist direkt unter dem Dach. Hier spannt sich eine historische Holzkonstruktion, an der die Hörsaaldecke aufgehängt ist. Über die Jahre wurde hier in der Regie des Hessischen Baumanagements immer wieder umgebaut, Brandschutzverkleidung angebracht, Estrich gegossen. 2005 erhielt die TU Bauautonomie und damit auch die Verantwortung für den Unterhalt ihrer Gebäude. Bereits 2010 führte sie Nachbesserungen am Hörsaal aus.

Als Anfang Dezember 2023 an der Marburger Universität eine Hörsaaldecke einstürzte, nahmen die Mitarbeiter:innen des Dezernats Baumanagement und Technischer Betrieb gemeinsam mit dem externen Tragwerksplaner Marcus Müller, der auf historische und denkmalgeschützte Bauten spezialisiert ist, das Tragwerk über dem Piloty-Hörsaal C 205 erneut unter die Lupe. Sie prüften alte Unterlagen, öffneten punktuell den Estrich, um die Zangenkonstruktion des Tragwerks und deren Anschlüsse zu untersuchen und stellten fest: „Es sind nicht mehr viele Reserven da.“

„Sicher ist sicher“

Mit dieser Information reagierte die TU umgehend. „Wir haben gesagt, wir sperren den Saal, sicher ist sicher“, erinnert sich Heiko Feuchter, der stellvertretende Dezernatsleiter, der das Projekt mitbetreute. Danach lief die genauere Untersuchung an. „Sicher ist sicher“ galt auch für die Fachleute, die ab diesem Zeitpunkt hier prüften und arbeiteten. Eine Notsicherung aus stabilen blauen Gurten wurde im Holztragwerk angebracht und mit 80 Zentimeter langen Schrauben an diversen Punkten in den Balken unter der Hörsaaldecke verankert. Jetzt konnten die eigentlichen Arbeiten anlaufen. Die beteiligten Tragwerksplaner sahen das Risiko einer Überlastung der Konstruktion und eines Materialversagens der Verschraubung an den Tragbalken. In enger Abstimmung mit einem Prüfstatiker und einem Zimmerer, der ebenfalls auf historische Bauten spezialisiert ist, entstand der Entwurf für die Ertüchtigung des Tragwerks.

Die Umsetzung lag bei Fachfirmen, mit denen die TU schon oft zusammengearbeitet hat. „Bauarbeiten im Bestand brauchen Erfahrung. Nicht jeder Betrieb hat diese. Wir haben hier Firmen und Sachverständige beauftragt, die sich mit historischen Gebäuden gut auskennen und wissen, wo man hingucken und worauf man achten muss“, erläutert Feuchter.

Neue Streckbalken für den Dachboden

Zimmerer Jan Wenner und sein Team fügen die neuen, hellen Streckbalken und das bestehende Tragwerk zusammen.
Zimmerer Jan Wenner und sein Team fügen die neuen, hellen Streckbalken und das bestehende Tragwerk zusammen.

Dazu gehört der Zimmerer Jan Wenner, spezialisiert auf „Denkmalpflege und Problemlösung“, wie er sagt, der mit seinen Mitarbeitern aus mächtigen, meterlangen Fichtenbalken die neuen Streckbalken konstruiert hat. Sie laufen nun an fünf Stellen quer über den Dachboden, um die senkrechten und schrägen Balken des Tragwerks zu verbinden und zusammenzuziehen. Das Ganze war Maßarbeit. Immer wieder mussten sich die Zimmerleute beim Bohren um Metallträger und Lüftungsanlagen herumschlängeln und für jeden der fünf Streckbalken individuelle Lösungen finden, um ihn sicher an seinem Platz zu verschrauben.

„Jeder Bereich auf dem Dachboden war anders“, sagt Jan Wenner. Um die Auflagefläche der Streckbalken an den Rändern des Dachbodens zu vergrößern, kamen maßgefertigte Stahlprofile zum Einsatz, die mit den Holzbalken verbunden wurden. Der Metallbauer Oliver Schürrer, der auch an der ersten Notsicherung der Decke beteiligt war, übernahm die Herstellung der Bauteile. Auch er hat Erfahrung mit Spezialaufgaben. „Wir haben mehr Spaß an solchen Herausforderungen als an Massenprodukten“, sagt er.

Abschluss der Arbeiten

Seit einigen Tagen sind die Arbeiten abgeschlossen. „Holz hat als Baustoff eine sehr hohe Sicherheit“, sagt Tragwerksplaner Müller. Nur die deutlich hellere Farbe der neuen Balken verrät, dass sie erst frisch eingebaut wurden. Die neuen Strukturen sind jetzt fester Teil des Deckentragwerks und übernehmen seitdem einen Teil der Traglast der Decke. Diese ist nun gleichmäßig und sicher auf alte und neue Elemente verteilt.

Vorlesungen und Seminare wurden während der Arbeiten in andere Räume auf dem Campus verlegt, so dass der Lehrbetrieb weiterlaufen konnte. Dennoch sei es für die Universität fordernd gewesen, den Hörsaal unmittelbar und dann auch gleich für mehrere Monate schließen zu müssen, sagt TU-Kanzler Martin Lommel, der „oberste Bauherr“ der Universität. „Die Entscheidung zur Schließung stand für uns aber nie in Frage. Die TU trägt eine große Verantwortung für die Menschen, die hier lernen und arbeiten. Vorsicht und vorausschauendes Handeln hatten für uns oberste Priorität.“